Idole
Andreas Hofer/Andreas van Dühren
Der Begriff »Idol« bedeutet zunächst »Götzenbild«, also ein Objekt pseudoreligiöser Verehrung; in der neuzeitlichen Anverwandlung hat der Begriff die weitere Bedeutung des profan resp. konsumistisch-schwärmerisch verehrten Objekts, wenn nicht des Stellvertreters angenommen (Stellvertreter deshalb, weil dem vage religiösen Empfinden die ausdrückliche und präzise Bestimmung fehlt) – nicht zu vergessen aber die romantische Konnotation: die ironisch gebrochene, gleichwohl sehnsüchtige Hingabe an eine ferne Geliebte.
Für uns mag dieser Begriff nur etwas kristallisieren, das man sonst auch »Star« oder »Hero« nennt; und wir haben uns ein Beispiel genommen, indem wir Leave her to heaven sahen, also einen der bekanntesten Filme mit Gene Tierney – für die wir beide, glaube ich, eine Schwäche haben. Diese Schauspielerin gehört sicher in die Kategorie des »reinen Stars«: man bewunderte Gene Tierney zwar auch ihrer darstellerischen Leistung wegen – zumindest in einzelnen Fällen – und nahm sie gewiß nicht nur für ein Sexsymbol; doch alle Anerkennung wurde gleichsam überboten durch die Wirkung einer vorbildlichen Schönheit – glatt und fragil zugleich, distanziert und einladend, fast geschichtslos und deshalb umso empfänglicher für die wechselnden Projektionen; sie hatte etwas asiatisch Verschlossenes und war ebenso eine Verkörperung des amerikanisch-sportiven Typus’ einer modernen Frau.
Man ist in solchen Fällen leicht dazu verleitet, den »reinen Star« von der vermeintlich wahren, also der »großen« Schauspielerin kategorisch zu unterscheiden; doch sind die Übergänge interessanter und die Unterschiede nicht derart, daß man eine Hierarchie daraus ableiten sollte. Isabelle Adjani gilt als überragend, da man ihr alles zutraut: auch auf der Bühne alle Register ziehen zu können, sowie jene Leinwandausstrahlung, in der sich »Photogenie« und Produzentenkalkül vereinen; Monica Vitti wünschte man sich nicht unbedingt in der Rolle der Phèdre auf der Bühne zu sehen und weiß doch, daß sie eine der bedeutenden Frauendarstellerinnen ihres Jahrhunderts war.
Dabei fällt auf, daß der selbe Typus, dem man Wahrhaftigkeit zubilligt, auch für Virtuosität, wenigstens solide Ausbildung zu stehen hat, während es eher die Sklaven der Traumfabrik sein müßten, deren Verführungskraft auf technische Fertigkeiten und zuverlässige Mechanismen zurückzuführen wäre. Noch etwas fällt auf, wenn man die eigene Wortwahl prüft: die Unterscheidung zwischen einer Schauspielerin, die in der Rolle einer klassischen Figur auftritt, und jener, die aus den jeweiligen Vorwänden – und viel mehr bedeuten die Rollen dann nicht – nach und nach eine eigene Figur erschafft, die man mit der Darstellerin identifiziert; diese Identifikation, während sie das Ergebnis eines schöpferischen Prozesses ist (wer auch immer die Fäden zieht – oft genug waren es eben MGM oder Warner), wird der Schauspielerin noch angelastet, als beweise solche Identität vor allem die Beschränkung der Ausdrucksmittel.
Diese Auseinandersetzung läßt sich über derlei Absurditäten hinausführen und wird anhand einiger einfacher Beobachtungen wieder interessant: daß die »komplette Schauspielerin«, ob man sie dem Theater zuordnet oder nicht, allerdings eher im Räumlichen agiert, in räumlichen Gegebenheiten, die nicht unbedingt dem Guckkasten entsprechen müssen, wohl aber einer kenntlichen mise en scène zu gehorchen scheinen – das Geschichtlich-Dramatische entfaltet sich in einem Bühnenraum, in einer Tiefe, die mit der Sprache durchschritten werden kann; jener Star, der eine Tendenz zum Ikonischen zeigt, agiert zwar nicht weniger, doch erobert er nicht den Raum eines Allzumenschlichen, sondern ist im Raum eher plaziert, eingesetzt, um zu einem Adressaten der Wünsche, Illusionen, wirren Begehrlichkeiten zu werden – noch in heftiger Bewegung wirkt er beinahe bloß installiert, um dem Scheinwerfer zu antworten; das Geschichtliche ist hierbei reduziert auf einen Zeitstrom, der das Gesicht solchen Idols aus dem Hintergrund einholt und es für lange Dauer unverändert läßt.
Natürlich hat es den Fan der Bühnenschauspielerin gegeben – die Traube von Menschen vor dem Seitenausgang des Hauses, auf ein Autogramm wartend etc. Doch nichts bietet sich der durch die Verheißungen wie Forderungen der Alltagskultur, zumal der Vergnügungsindustrie elektrisierten Phantasie deutlicher an als das leinwandfüllende Gesicht, dessen geringere Regungen umso besser geeignet sind, die Erfindungen des Zuschauers zu fixieren. Und hier müßte man vielleicht über die gesellschaftliche Bedeutung des Schauspiels, insbesondere der Bühne sprechen...
Wenn wir versuchen, diesen Typus in der bildenden Kunst aufzufinden – also abseits von den originär darstellenden Künsten, in denen das Moment der Performance seinen deutlichen Auftritt begünstigt, und in einer gewissen Verschiebung zum Helden –, dann greifen wir zunächst allzu leicht auf althergebrachte Modelle zurück: der Einzelne, Besondere, der sich aus dem sicheren Hort der Gemeinschaft hinauswagt, um das offene, freie Feld zu erkunden – dabei sich den Gefahren des Unbekannten wie der Verkennung aussetzt, dem Scheitern und dem Mißverständnis, sich sogar auf das Opfer einläßt; die psychische Stärke (die ohnehin zum Idealtypus gehört, den klassischen Helden geradezu ausmacht) auch darin, vielleicht jahrzehntelang auf öffentliche Anerkennung verzichten zu müssen und dennoch am Werk zu bleiben.
(Man hat übrigens seine Mühe – auch wenn uns sofort Künstlerinnen in den Sinn kommen: Louise Bourgeois, Sophie Taeuber-Arp –, vom Muster des Männlichen zu abstrahieren, und wir mußten sogleich wieder an den Typenkatalog des Kinos denken, um diesem Muster etwas entgegenzusetzen; Ripley – eine Figur, in der das Weibliche unter sehr modernen Vorzeichen sublimiert wurde und die dafür vom männlichen wie vom weiblichen Publikum als Heldin angenommen wurde... was man inzwischen ebenso von Sigourney Weaver sagen könnte; und es ist eine wunderbare Ironie der jüngeren Ideengeschichte, daß sich diese Emanzipation in Form eines Exorzismus nunmehr mit dem Titel Alien verbindet.)
Eine spezifische Schwierigkeit in der Übertragung unseres Typus’ auf die zeitgenössische Kunstwelt liegt darin, daß ein heroischer Künstler eben solche Attribute wiederbeleben müßte, die nicht mehr zeitgemäß sind. Dann gibt es, an einer Figur wie Duchamp etwa, diesen strategischen Ansatz, jenen Anteil des Kalküls am existentiellen Entwurf, der es zunächst schwer macht, an ihm etwas Heroisches zu finden (zumal dessen Ironie, auch der Gestus der Enthaltung, ihn zumindest dem Klischee des Helden entfremdete); es muß also beides zusammenkommen: zu einem exklusiven Engagement. Womöglich ist dies bereits eine Formel, die sich aus unseren Schwierigkeiten ergeben hätte – daß der moderne Held, in der Rolle des Künstlers, aus jener inneren Linie, die man ihm sonst zudachte, eine zum Ausdruck gebrachte Strategie ableiten müßte... die Augenbinde abnehmen, um seine Erkundungen auch in die Gesellschaft zurückführen zu können, ohne korrumpiert zu werden.
Wenn gewisse, fast archaische Vorstellungen hierbei immer wieder aufkommen, dann wohl wegen einer prinzipiellen Verknüpfung dessen, was vorhin »psychische Stärke« genannt wurde, mit dem Bild eines Getriebenen, Fremdbestimmten; daß Stärke überhaupt etwas ist, das vor jeder Ambition gewirkt haben muß und ebenso alle Manifestationen überdauert, ist heute kaum zu vermitteln – und schon die Idee der unpersönlichen Macht entzieht sich allem Einvernehmlichen, in dem Vermittlung auch nur möglich ist. Zugleich arbeitet der Mensch daran, sich selbst abzuschaffen – sofern das Menschenbild mit Begriffen wie »Individualität« assoziiert wurde –, wenn nicht zu verwandeln in die Maschine: unter diesem Vorzeichen scheint man also keine Bedenken gegen eine gewisse Entmündigung zugunsten höherer Wesen zu haben.
Der Künstler muß sich nicht verpflichtet fühlen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken; die Transformation in ein Maschinenwesen könnte sich bald als die heroischste Anstrengung des Menschen erweisen – dies mit einer abenteuerlichen Einstellung zu erfahren und zu meistern. Eine zeitgemäßere Auffassung des Künstlers – weniger explorer als agent provocateur – kann auch bedeuten, daß er sich selbst dem Experiment zur Verfügung stellt und in fünfzig Jahren aufwacht, sich zur besseren Anpassung einem Umbau des Körpers unterzieht und nichts fürchtet, was nur einem neuen Sensorium gleicht.