Wertgesetze der Kunst
Andreas van Dühren
Es sollte sich von selbst verstehen, daß auch dem Handel mit Kunst das betrügerische Moment eingegeben ist; dennoch haben seine Vertreter guten Grund, das Besondere dieser Branche zu behaupten, und es ist nicht einmal gewiß, ob sie besseren Grund hätten, wenn sie sich dessen bewußt wären, oder ob hier nicht wie fast überall die Verschleierung des Zusammenhangs zu einer Art Unschuld verhilft. Der für das einzelne Werk zumal auf einer Auktion erzielte Preis läßt sogar Eingeweihte den Kopf schütteln, als drückte sich in der vermeintlichen Übertreibung nicht bloß deutlicher das allzu vernünftige Verhältnis aus, das im weniger Spektakulären nur der Absurdität alltäglicher Wechselbeziehungen ähnlich und darin unerkannt bliebe. Was im Bietgefecht zur Rekordmeldung gerät, ist der Widerschein geglückter, von Täuschung und Opferung unbeschadeter Übereinkunft im Profanen.
Fordert sonst der Umschlag jeglichen Dinges, das zur Ware genommen wird, daß am Ende des Prozesses ein Verlierer dasteht, so verspricht die Kunst, es könne jede Partei in den Genuß des Mehrwerts kommen. Doch gilt dieses Versprechen nur im Besonderen, nämlich für den Markt, und sind mit den Parteien allein jene gemeint, die explizit, in der Rolle des Produzenten, des Vermittlers und des Konsumenten, handelseinig werden können. Das wundersame Gelingen einer Steigerung ohne Verzicht ist naturgemäß erst möglich, wenn solcher Gewinn, indem er sich ausnahmslos über die am Spiel Beteiligten ausbreitet, sich in wechselnder Währung verhält. Es ist vor allem dieser Wert das Besondere, da er vom noch so individuellen Gebrauch wie vom zunehmend gesellschaftlich bestimmten Nutzen gleichermaßen weit entfernt ist – mögen erst recht die Konsumenten, wenn sie Sammler sind, durchaus ernsthaft einen Pragmatismus oder gar Utilitarismus zum Antrieb ihrer Passion erklären. Der einfachste Ausdruck solchen Wertes ist das Prestige, und auch hier sind viele versucht, das Erbauliche zu betonen, das Kulturstiftende, wenn nicht Staatstragende einer Praxis, die sich doch immer wieder im Besitzerstolz kristallisiert.
Was derart Verschiedenes wie Gaukelei und Ansehen meint, ist in der Kunst glaubhaft aufgehoben, während es erst recht auf dem Markt einträchtig einhergeht. Das Einvernehmen, welches hier den Wert schafft – kraft einer Willkür, die ein Objekt als vorzüglich hinstellt, kenntlich wiederum kraft eines ungreifbaren Ideals –, erschöpft sich jedoch im Wirkungskreis jener Handelsbeziehung. Was im allgemeineren Begriff der Geltung darüber hinausginge, erreicht die Gesellschaft nicht mehr, und nicht einmal die zahlreichen, noch so gut gerüsteten Vermittler, seien es die Händler selbst, die Kritiker, die Chronisten, denken daran, solchen Akt der Wertschöpfung diskursiv abzubilden. Aus diesem Abstand zwischen dem Umschlagplatz einer Ware und der Mehrheit möglicher Abnehmer entsteht das Phänomen einer zunehmend vermittelten Wertschätzung eines Gutes, das seine Macht der Vermittlung im selben Maße einbüßt – ein Prestige also, das am Objekt wie an dessen Besitzer wächst, der Gesellschaft aber, die es verleihen muß, erst entfremdet, schließlich selbst entzogen wird.
Einer weniger perfiden als unausweichlichen Logik gemäß steigert jene Entfremdung das Prestige, hier zumal als Nimbus des von Gesellschaft nie recht und billig einzuholenden Besonderen, der sich im einzelnen Werk eben nicht verkörpert, wie auch die Gesellschaft an ihm sich vom Allgemeinen, indem es verbindlich für sie würde, vielmehr losschlägt. Eine gewisse Perfidie aber, wenigstens eine Perversion zeigt sich im Mißverhältnis einer Popularisierung, wenn nicht eigentlich einer Vulgarisierung der Kunst – der bloßen Profession – und solch intriganter Tendenz, die Rede- und Deutungshoheit über die Kunstproduktion einer wie auch immer authentischen Elite vorzubehalten. Die Institutionen, auch die vielfältig-beweglicheren Dispositive, bis hin zu den bloßen Apparaturen, werden zunehmend als öffentliche Mittel in Anspruch genommen oder in die öffentliche Hand überführt, doch was derart in beschleunigten Umlauf und zu weiterer Verteilung kommt, darf keineswegs ein Bestandteil gemeinen Nutzens und soll dem noch so abstrakten Einvernehmen enthoben werden. Die Gesellschaft fördert eine Produktion, deren Ergebnisse dem Zugriff unmittelbaren Bedarfes und Gebrauchs entgehen, als betonte sie in bewußter Enthaltung vom Genuß den Warencharakter des Produktes ›Kunst‹, um dessen Wert zu erhöhen – in letzter Instanz, um der Kunst noch diesen Warencharakter auszutreiben und sie dem reinen Geldwert gleichzusetzen.
Dies beantwortet bereits die Frage, wer jenen besonderen Wert, das Prestige, decken solle, wenn der Begriff ›Gesellschaft‹ selbst nahezu außer Kurs gekommen ist: im Gespür des Verlustes eigener Glaubwürdigkeit – auch, sich des Treueprinzips anhand fester Tauschmittel begeben zu haben – ist die Gesellschaft dem bloßen Zahlungsverkehr verfallen. Im Handel, darin sie sich seit je gebildet und verstanden hatte, verleugnet Gesellschaft sich nunmehr. Und im Überspringen dessen, was sie im Begriff ›Kultur‹ ebenso lange konstituierte, überantwortet sie die Kraft zur Selbstvergewisserung einem Konstrukt, in welchem das Inkommensurable, Kunst, mit dem Symbol jeglicher Abgleichung, Geld, in ein Währungsverhältnis tritt. Es ist der kleinste wie mächtigste, eben durch die Desavouierung überhaupt des Gesellschaftlichen sich herausstellende Teil – oft genug noch fälschlich veredelt zur ›Oligarchie‹ –, der jenen Wert deckt, und zwar umso natürlicher, als das Äquivalent nach dem selben Prinzip geschaffen wird, nämlich nicht mehr durch Treu und Glauben, sondern durch Spekulation und Risiko; ebenso natürlich ist dieser Teil nur durch das Machtmittel selbst legitimiert, wie ein Ganzes, das sich nicht mehr konventionell versteht, die übergreifende Legitimation nicht aussprechen kann.
Daß solches Währungsverhältnis immer unverschleierter und ungehemmter zur Wirkung kommt, verdankt sich gewiß der wachsenden Ähnlichkeit ihrer eigentlichen Produktionsprozesse – daß die Kunst wie das Geld schon in ihrer Entstehung oder Schöpfung sowohl sich auf den nächsten Termin ausrichtet, als auch die Zukunft, indem das Entfernte fixiert wird, durch Spekulation möglichst restlos ausfüllt, schließlich aber löscht. Eine historisierende Betrachtung, die im Glauben die rückbindende wie auf jenseitig-endgültige Befreiung ausgehende, somit die Gemeinschaft gleichermaßen konstituierende und dynamisierende Kraft erkennt, müßte heute am verzerrten Telosbegriff die Drohung ausmachen, der jede zeitliche Verstrebung unterliegt. Und es bliebe nicht das letzte Paradox, das eine ins Kritische gewendete Betrachtung zutage brächte, daß eine idealistisch entbundene und auf Rationalisierung ihrer Funktionszusammenhänge allein bedachte Gemeinschaft erst recht der abstrakten Zweckbestimmung verfällt, nur daß sie, verharrend in derart intendierter Immanenz, solange sie zur Beschwichtigung weiterhin der irrationalen Selbstentwürfe bedarf, statt in der Entfernung sich in der Entfremdung reflektiert.
Wenn das im Glauben einvernommene Ideal – gleichsam durch ein Ineinanderschieben aller Zeitverstrebungen – auf das zuständlich-konventionelle Prestige verkürzt wird, so verengt sich der Bereich, darin dem konkreten Artefakt ein ungreifbarer und dadurch erst gesteigerter Wert zukäme, auf den Spielraum bloßen Tausches. Es braucht deshalb keine gelegentlich-umständliche Versuchung durch den Markt, wenn dieser ohnehin den Spielraum bezeichnet, und stellt das Geld selbst, zum einzigen Äquivalent fürs Prestige geworden, nur mehr das Ausdrucksmittel jeglichen Wertes dar. Aus einer Entwicklung, die es den religiösen wie den handwerklich-zünftigen, den idealistisch-philosophischen wie zuletzt den wissenschaftlichen Zusammenhängen entband, ist das Kunstwerk, bei aller scheinbaren Exzentrizität, als das berechenbare Wertobjekt hervorgegangen, das mit dem schlichten Zahlungsmittel vollständig abgegolten werden kann.
Die Vermutung, es werde dieses System durch etwaige Implosion sich für eine gewisse Frist heilsam schwächen, um sich – wie zur Vernunft gekommen – in wie auch immer besseren Dienst nehmen zu lassen, wird sich als Täuschung erweisen: das Mißverhältnis zwischen extrem verkürzten Abläufen, wie sie allen Entwürfen noch zugebilligt werden, und einer outrierenden Spekulation, die eine auf Lebenszeit angelegte Investition ersetzt hat, hebt sich auf in vortrefflicher Deckung mit jenem anderen, in welchem es für den Künstler statt einer Nachwelt – wenigstens einer nachträglich sich bildenden Umwelt – nur mehr die korrespondierende Interessengemeinschaft gibt. Die Mechanismen, welche die je für sich widersprüchlichen Beziehungen regulieren und einander angleichen, sind wie jedes auf Entsprechung gerichtete Moment zur Expansion verurteilt. Und während jede auf noch so weitgehende Differenzierung und Nuancierung bedachte Kritik ihren vorläufigen Halt in der Reduktion findet, ist eine Aktivität, die – mit welch subtilen Mitteln auch immer – ihre einzige Antwort in Adaption und Konfirmation erhält, auf den Weg unstillbarer Fortsetzung verwiesen.
Dabei verschleiert, was sich hier als Monstrosität abzeichnet – zumal anhand dessen, was an der Oberfläche als Betrug und Täuschung suggestiv sich selbst ausgibt – eine Entmächtigung, die den Künstler als Statthalter betrifft; seine Einbindung ins Getriebe wird, sobald die Desillusionierung auch der zynisch-camouflierenden Überhöhung nicht mehr bedarf, die Integrationsfigur erst noch hervorbringen. Die Interessengemeinschaft, die ihm durch außerordentliche Berufung das Verbindliche abzusprechen versuchte, wird durch das übergreifende Moment seiner Praxis auf ein Modell ihrer selbst verwiesen, das zur Selbstvergewisserung nur suspendiert war. Mit der expansiven Tendenz der Konglomerate wird eine Professionalisierung einhergehen, an deren gültigem Ausdruck man wieder von ›Gesellschaft‹ reden mag.