Verortung des Realen

ZU DEN NEUEN BILDEXPERIMENTEN VON MAGNUS PLESSEN

Daniel Marzona

Denkt man über das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit nach, kommt man schwerlich an Platon und dessen diesbezüglichen Überlegungen vorbei. Denn schon im Sophistes offenbaren sich die Schwierigkeiten einer theoretischen Durchdringung dieser Relation überdeutlich. Das Bild – immer im Sinne einer Nachahmung aufgefaßt - nimmt denn auch in Platons Ontologie eine Zwitterstellung ein: Es ist als Bild wahrhaft und wirklich, aber was es zeigt, ist es nicht. Es verschränkt also auf eigentümliche Weise das Sein mit dem Nicht-sein, und wir wissen, daß Platon auf Grund dieser Problematik eine negative Auffassung von den (trug-)bildnerischen Künsten entwickelte. Das Handwerk stand ihm näher.
Bis heute haftet jedem ‚naiven’ Realismus in der Kunst etwas Defizitäres an. Kunsttheorie und Kunstgeschichte haben sich früh beeilt, mimetische Anstrengungen seitens der Künstler idealistisch zu überhöhen, um sie in ein theoretisches Korsett einzubetten, welches jeden Realismus aus der Metaperspektive eines kunsttheoretischen Idealismus’ in das Reich der Ideen zurückgeholt und geradezu zwanghaft nobilitiert hat.
Eine junge Generation zeitgenössischer Maler hat sich aus naheliegenden Gründen entschlossen, ihre Arbeit nicht mehr allein auf ihr Verhältnis zur Realität zu gründen, sondern der Photographie nachzuspüren, einer Bildform also, die seit ihrer Erfindung unter erhöhtem ‚Realismusverdacht’ stand und lange auf den Status ihrer Kunstwürdigkeit warten durfte. Magnus Plessen ist einer jener Maler, deren Werk in der Auseinandersetzung mit der Photographie seinen Ausgangspunkt fand. Die malerische Aneignung von Photos oder das Kenntlichmachen einer allgemeinen Mechanisierung der Wahrnehmung spielte hierbei keine Rolle. Es ging vielmehr darum, ausgehend von einem Ungenügen der Photographie, dasjenige im Medium der Malerei auferstehen zu lassen, was der Photographie unzugänglich bleiben muß – eine wirkliche Erfahrung, sprich Berührung der Realität. In der Malerei Plessens geschah dies von Anfang an zugleich auf einer metaphorischen und praxisbezogenen Ebene, indem der Akt des Malens, die Berührung der Leinwand mit dem Pinsel, das kühle Repräsentationsverhältnis der Photographie durchbohrte, um den mechanisch-chemischen Index des Photographischen in einen nahezu hysterisch-vibrierenden des Abdrucks und der Berührung zu verwandeln. So entstanden zunächst Bilder intimen Formates, die selbst den banalsten Motiven noch eine beeindruckende Intensität und Präsenz verliehen. Mit der Eroberung des großen Formates wurde die Kategorie des Raumes dann immer zentraler für die Malerei Plessens, wobei der photographische Index nun nicht mehr nur in Bewegung gerät, vielmehr gebrochen, verschoben und zuletzt auch einer grundsätzlichen Inversion unterzogen wurde – Bilder von den Rückseiten photographischer Bildräume, der indexikalische Pinselstrich aus der Perspektive seiner auf der Leinwand aufliegenden Seite betrachtet.
All dies folgte einer inneren Logik, der sich der Maler kaum bewußt gewesen sein dürfte, und kam zu einem vorläufigen Ende, als erstmals ersichtlich wurde, daß in dem Rückgriff auf die Photographie eine Limitierung lauert, die man vielleicht am treffendsten als die Vorgabe eines Bildganzen bezeichnen könnte. Denn soviel in der malerischen Bearbeitung, Verfremdung und Umformung im Sinne eines Erkenntnis- resp. eines Erlebnisgewinns dem Photo auch abgetrotzt werden kann, die Anlage der gesamten Bildkomposition bleibt vorgegeben, die Relation der Teile zum Ganzen scheint fixiert. Diese Einsicht in das diktatorische Moment eines malerischen Verfahrens, das sich der Photographie als Ausgangspunkt bedient, führte zunächst zu seltsamen Verschiebungen in noch immer photographisch organisierten Räumen der Malerei. Köpfe wirkten wie eingehängt, Positionierungen bestimmender Bildelemente auf der Leinwand schienen plötzlich nicht mehr notwendig sondern kontingent. Wenig später verzichtet Plessen bereits darauf, den Bildträger in ein Kongruenzverhältnis mit der Photovorlage zu setzen – Flächen bleiben frei von Farbe, die Malerei hört an einer bestimmten Stelle einfach auf oder rahmt das Photo auf der Leinwand ein. Dann entstehen plötzlich Bilder (Mr. Davies 4-10-78, 2006) die erstmals auf den Umweg der Photographie verzichten und sich ihren Gegenständen direkt unter Anwendung verschiedener referenzieller Methoden nähern – merkwürdig ungelenk, fast hölzern tritt uns die Malerei in ihnen entgegen. Reale Gegenstände wie beispielsweise ein Anzug, eine Flasche oder ein überdimensioniertes Feuerzeug werden vom Künstler vermessen und mittels Klebestreifen maßstabgetreu auf die Leinwand übertragen. Einmal dort angelangt verharren sie nun nicht mehr im illusionistischen Bildraum, sondern schließen mit der Bildoberfläche ab, wirken also wie in das Bild hineingelegt. Es ist sicher kein Zufall, daß der Bildraum in diesen neuen Bildern merklich verflacht erscheint, ja daß von einem Bildraum im eigentlichen Sinn gar keine Rede mehr sein kann. Denn sobald das Problem der Komposition von den Fesseln eines vorgegebenen Bildganzen mitsamt einer perspektivisch organisierten Räumlichkeit befreit ist, stellt sich die Frage der Verortung des Realen im Bild neu und offenbar auf eine Weise, die es erlaubt, von einem ‚davor’ oder ‚dahinter’ zu abstrahieren und alle Bildgegenstände auf ein und der selben Ebene anzuordnen. Als Resultat dieser Selbstreglementierung Plessens - also der Koppelung seiner Malerei an der Realität entnommene Maßverhältnisse - ergibt sich nicht nur eine augenfällige Betonung der Fläche, mehr noch dominiert ein allgemeiner Eindruck der Ernüchterung. Die nervöse Intensität der früheren Bilder ist einer irritierenden Statik gewichen, die wenig Raum für Spekulation läßt. Die Gegenstände erscheinen auf der Oberfläche der Malerei mit einer enträumlichten Klarheit, die nur deshalb sonderbar erscheint, da sich kein Kriterium für ihre Stimmigkeit mehr angeben ließe, welches außerhalb der Malerei selbst angesiedelt wäre. Zwar finden auf der Malhaut noch immer Verdopplungen und Verschiebungen statt, nur läßt sich nicht mehr behaupten, etwas sei von einem ‚richtigen’ Ort an einen verrätselten gelangt, da diese Malerei keine objektiv richtigen Orte mehr kennt.
Es ist merkwürdig, wie sehr sich die visuelle Erscheinung dieser neuen Bildexperimente Plessens von den auf Photos basierenden Arbeiten unterscheidet, da diese wie jene noch immer von dem unbedingten Verlangen getragen werden, ihren Dingen so nahe wie möglich zu kommen. Vielleicht läßt sich die Diskrepanz zwischen der zuweilen überspreizten Emotionalität der frühen Bilder und der bewegungslosen Nüchternheit der neuen Bildexperimente auf eine drastisch veränderte Auffassung der Realität zurückführen. Nähert sich Plessen der Realität in der Malerei über die Photographie, ist das Ergebnis vor allem als Praxis, als Aktivität interessant, die sich in den Bildwerken niederschlägt und ihre nervösen Spuren hinterläßt. Will er die Realität direkt in der Malerei verorten, macht er aus ihr einen Unort, in welchem die Dinge, gleichsam ein Vakuum erzeugend, luftdicht mit der Oberfläche abschließen. Gab es für die früheren Versuche also etwas wie eine psychisch-emotionale Hintertür der sichtbaren Wirklichkeit, durch die hindurch die Malerei zu treten hatte, um die Wahrheit einer ‚inneren’ Realität zu bezeugen, scheint die Malerei nun auf einer Wahrnehmung zu fußen, die äußeres und inneres Erleben miteinander identifiziert oder zumindest der Einsicht Wittgensteins folgt, daß über ein Inneres nur sinnvoll verhandelt werden kann, sobald es sich geäußert hat. Wenn dem so ist, könnte man die neuen Bilder Plessens als extrem anti-idealistisch bezeichnen. Ob sich die Haltung, der sie entspringen, sinnvoll als Realismus begreifen ließe, wage ich dennoch zu bezweifeln. Stellte sich früher die Frage nach dem Ort des Bildes, stellt sich jetzt das Problem des Bildes als Ort – ein Problem, das auf die Nicht-Identität der Malerei, auf ihr Dazwischensein und ihre gleichzeitige Teilhabe am Sein und Nicht-sein verweist. Man muß dies nicht wie Platon als Makel betrachten, man kann darin auch ihre einzigartige Chance erblicken.