Yves Saint Laurent

Guy de Bordeaux

Jeder Ruhm beruht auf einem Mißverständnis, das den gewöhnlichen Menschen von der Forderung entbindet, er solle sein Leben ändern, dem Gott ähnlich und so erst recht zum Menschen werden; um ihn für diese Verkennung dessen, was doch nur eine Einladung zur Emanzipation ist, zu entschädigen, erhebt man den Künstler zum Außerordentlichen, an dessen täglicher Praxis man sich kein Beispiel nehmen müsse. Eine Ausnahme von dieser Regel ist so unwahrscheinlich, daß man sich nicht leicht zufrieden gibt und nach Gründen sucht, deren plausibelster dann doch wie eine Ausflucht erscheint: eine zweite Ausnahme wird zur Bedingung – daß nämlich ein junger Mann einmal nicht gegen sein Talent kämpfen mußte, um ein wirklicher Künstler zu werden. Denn diese Absage an die natürliche Quelle, diese Ablehnung der reinen Gabe zugunsten einer schöpferischen Anmaßung öffnet wohl den Raum für jenes Mißverständnis, für Idealisierung wie Verdammung des Einzelnen, der sich nicht fügt – weder einer Disposition, die ihm mit dem vorbestimmten Können eine Scheinherrschaft anbietet, noch einer Konvention, welche die Überschreitung zur Vernunft mit Strafe belegt. Dies also könnte ein seltenes Beispiel dafür sein, daß nicht nur die frühe Anerkennung eines Talentes immerfort bestätigt würde, sondern all das, was an Indizien hinzugekommen ist, die Person wie die Sache trifft – daß man dieses Ingenium, diese Fertigkeit, auch die Tüchtigkeit und ein Durchsetzungsvermögen beim Namen nennt und noch im Einklang mit dem Jubel kaum Gefahr läuft, den einsamen Kunstarbeiter zu verfehlen.
Vielleicht sollte man hier einmal den Geniebegriff wenn schon nicht zu neuen Ehren bringen so immerhin auf seine nüchterne Bewandtnis hin betrachten: vermeintlich abgenutzt, bis zur Lächerlichkeit hinfällig geworden, sofern man ihn auf den zeitgenössischen Künstlertypus anwenden wollte, hat er auf seltsamen Wegen, die das repräsentative Muster des vergangenen Jahrhunderts konterkarieren, vielmehr an Glaubwürdigkeit gewonnen. Nicht nur, daß am Ausgang der bürgerlich bestimmten Moderne das Bewußtsein für die technischen Implikationen jeder Kreativität gewachsen ist, auch daß sich die Künste wieder dem Handwerk und den Wissenschaften angenähert, zumal immer drastischer den Mechanismen von Konsum und Kommerz angeschlossen haben, ist einer Renaissance jener Figur förderlich gewesen, in der sich Virtuosität und Kalkül vereinen – das Überwältigende und das Verständliche. Der Bourgeois mußte das Genie vergöttern, um das Bedrohliche jener Kraft zu bannen; das Volk, unter dessen Herrschaft wir leben, hat es – ein wenig nur, aber mit beträchtlicher Wirkung – herabgesetzt zum Idol, das mit Unsummen aufgewogen wird und dafür Rede und Antwort stehen muß, in einem fast perfiden Manöver eingemeindet zum Ähnlichen, über dessen alltägliche Gewohnheiten man Bescheid weiß und auf den man doch die eigene Entfremdung überträgt, indem man ihn mit fanatischer Bewunderung schlägt. Und natürlich sollte man, wenn man schon auf diese Weise von Yves Saint Laurent spricht, nicht vergessen, daß dessen Name erstmals zu einer Zeit in Leuchtschrift auf den Champs Élysées zu lesen war, als ein anderer Begriff aufkam, nämlich der des Pop-Stars.
Es ist in solchen Fällen schwer zu unterscheiden, was zur frühen Fertigkeit gehört und welchen Anteil das Ausschöpfen alles Unvollkommenen am Erfolg beansprucht; denn dieses geht aus jenem nicht wie aus einem angelegten Potential hervor, das im Unbekannten bloß das Eigene aufs neue erobert: die Fertigkeit selbst bedeutet eine Fremde, in die ein Jugendlicher von solcher Begabung eingeschlossen ist. Die Suche nach dem Neuen gleicht hier einer fortgesetzten Verneinung des Könnens zugunsten eines Wissens, das man als schmerzliches Ungenügen erlebt, während jede Eroberung eine Unschuld umfängt, die man zu früh gegen ihre Ausdrucksmittel eingetauscht hat; jeder geglückte Entwurf reicht an das Äußerste einer Entwicklung heran, die man, gekettet an eine immer schon freigesetzte Technik, bereits übersprungen hatte, und drückt das Verlangen aus, ein Urteil zu hintergehen. Das unvermittelt Beweiskräftige des Auftretens, die Vollständigkeit und Übereinstimmung der angelegten Möglichkeiten eignen schon dem Typus, doch es bedarf noch mancher Umstände, um es einem Einzelnen zu erlauben, mit ihm zu verschmelzen, in dieses Bild einzutreten und es im selben Moment hervorzubringen, mithin alles Vorgängige zu verschleiern. Zu den Umständen gehörte, daß ein Dior – in der Rolle, die er für die französische Kultur nach den Kriegen spielte, mitsamt dieser Machtfülle – den Schüler an seine Seite nahm und daß es bereits einen neuen Stil der Modephotographie gab, vor allem einen Avedon, der es verstand, den Nimbus der Haute Couture in ein Image, die Geheimnisse eines Metiers in die Offenbarungen einer Lebensart zu übersetzen – vor allem durch eine Auflockerung des Verhältnisses zum Modell (dessen Ironisierung und Heroisierung zugleich), welche das Menschenbild skandalisierte.
Jene Verschleierung des Vorgängigen betrifft das Metier selbst; gewiß hatte die Schneiderkunst zuvor erst recht darin bestanden, die Tragfähigkeit des Kleides auch darin zu erweisen, daß sich die Idee des Gemachten nicht über den Gegenstand legte, diesen vielmehr mit einem Ideal des wundersam Geschaffenen verblendete; Saint Laurent aber mußte, um sich aus der Rolle des begnadeten Nachfolgers zu befreien, die Faktur gleichsam thematisieren, indem er das Artifizielle als Motiv erkennbar werden ließ – als hielte nicht mehr die Naht, nur schon Auffassung und Entwurf, die Zeichnung selbst es zusammen, fiel das Kleidungsstück nicht mehr zum Schein vom Himmel, sondern – um nicht zu sagen: von der Straße oder aus den jedem zugänglichen Katalogen der Kunstgeschichte – entstand aus einer eklektischen Phantasie, die es direkt auf den Habitus abgesehen hatte: Diese Konzeptualisierung, während sie den Ursprung einer Kunst aus dem Handwerk verbarg, verwandelte den Artikel durch demonstrative Zusammensetzung zu einem Objekt nachvollziehbarer Wünsche; so bereitete der letzte Meister der Haute Couture allerdings den Weg zum bloßen Design.
Allzu häufig werden zwei seiner Bekenntnisse angeführt: daß sein Neid sich einzig bei dem Gedanken rege, die Blue Jeans nicht erfunden zu haben; daß eine Frau zu ihrem Glück nur einen Rock, einen Pullover und eine Perlenkette tragen und einen Mann, der sie liebt, an ihrer Seite wissen müßte. Dies sind mehr als müßig-kokette Entgleisungen eines Ängstlichen, der in der Beherrschung der Subtilitäten nicht erstarren mag und Sublimation statt in der Nuance am liebsten in der konventionellen Gewißheit fände, das Richtige gewählt zu haben. Daß das Richtige zwar das Einfache ist, dieses aber kein Vorgefundenes sein kann, bleibt die einzige Gewißheit des Künstlers. Und es war wohl eine authentischere Lust an der Selbstdarstellung, die ihn dazu trieb, im Schutz eines plastischen Schattenwerks entblößt, lässig hingegossen – wie in lästerlicher Anspielung auf einen Messias, der ohne Kreuz auskäme – zu posieren, um sein erstes Parfum für Männer zu lancieren. Die zu jener Zeit sich ausbreitende Freizügigkeit (oft nur billig behauptet, mitunter fast schikanös durchgesetzt) hatte wenig gemein mit einer Frivolität, die sich in jener Annonce vielmehr mit einer – versteinerten, noch glühenden – Frenesie verband, einem von Müdigkeiten immer wieder eingeholten Feuereifer: das von seinen Empfindlichkeiten ebenso gefährdete wie durchtriebene Kind reiht sich in dieser gemeißelten Gestalt bei den Großen ein, die in jeder Epoche doch auch Unzeitgemäße sein mußten, um den einvernehmlichen Strömungen die Reflexionen des Modernen entgegnen zu können.
Es wäre müßig, anhand der einzelnen Kreationen sich ein Bild der Frau zusammensetzen zu wollen, das durch die Entwürfe mitgeschaffen worden wäre: unter dem vorherrschenden Eindruck einer Pracht, die sich ebenso in schwerblütigen Auszierungen wie in launigen Unverschämtheiten behauptete, erkennt man weniger das Integral einer neuen Weiblichkeit als lauter Möglichkeiten, sich im Bewusstsein jeglicher Kostümierung zu verwandeln und durch die Modifikation selbst sich in eine bis dahin unerhörte Souveränität einzuüben. Und es war nicht diese oder jene Linie, welche der Frau ein Modell der Emanzipation vorgegeben hätte; stattdessen mag es eine gewisse – oft genug heikle, bis an die Grenze des Anstößigen gehende – Deutlichkeit der Farben gewesen sein, die Entschiedenheit der Wahl in Hinblick auf eine alles bloß Annehmliche in Frage stellende Komposition, die es der Frau erlaubte, ihr Selbstbild in wechselnden Manifestationen wie in einem immerfort bewegten Kaleidoskop zu revolutionieren. Wollte man aber eine Entwicklung nachzeichnen, so müßte man eine eigensinnige Biographie von Catherine Deneuve schreiben – und dabei andere Beispiele außer Acht lassen: Man käme nur – unter Mißbrauch des Lacanschen Diktums – zu dem Schluß, daß es die eine Frau nicht mehr gibt.
Am Ende sieht man Saint Laurent doch fast gleichgültig gegenüber den Mannequins, in kindlicher Erwartung dessen, was sie – aus einem allgegenwärtigen Spiegel hervortretend – ihm vorführen. Un rêve – immer wieder bringt er dieses Losungswort heraus, als sollte damit die Macht des Unwägbaren beschwichtigt werden; es verhindert nicht die Bestürzung des Altmeisters angesichts einer mißlungenen Ausführung. Ein früheres Porträt zeigt ihn unter einem Gemälde von Matisse, vielleicht dem Letzten, der es verstand, die Welt sowohl zu bejahen als auch zu durchdringen; dies verlangte jedoch eine Anstrengung, die den Künstler einer unmittelbaren Verwertung seiner Produkte entzog – ein Traum von anderer Art.