Der Intellektuelle als Künstler
Andreas van Dühren
Ich gebe zu, daß ich selbst leicht ungehalten werde, wann immer ein Zeitgenosse zwei oder drei Begriffe mit einigem Mutwillen zusammenwirft oder einander gegenüberstellt; zumeist sind derartige Konstellationen statt auf kosmische Gesetze nur auf eine Glaskugel zurückzuführen, über die sich eine Zigeunerin beugte, um gegen Vorauszahlung ein Schicksal zu erraten; steht das Zelt nicht auf einem Rummelplatz, sondern in einer Akademie, so darf es auch das Geschick einer Generation, eines Geschlechts, einer Gesellschaftsschicht sein. Doch wenn es eine Komödie des Geistes gibt, dann kennt auch sie ihre Peripetien, und wer davon nicht blind erfaßt werden will, der sollte im rechten Augenblick beiseite treten, um auf seine eigene Stimme zu hören; das verabredete Stichwort käme zu spät, und man erwachte in einem bösen Traum.
Wir wissen nun, daß die Gesellschaft nicht mehr durch eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Einzelnen und einer Allgemeinheit lebt, daß es nicht deren zunehmende Komplexität ist, die jener Einzelne in einem noch so hochentwickelten Bewußtsein einholen oder in einem etwa unbestechlichen Eigensinn herausfordern könnte, sondern eine heillose, vielleicht fruchtbare Radikalisierung sich vollzogen hat, an deren Ende jeder seine Verträge neu aushandeln muß; daß die eine umfassende Vereinbarung nicht mehr hält, gehört zum Befund, und auch hier gilt, daß nicht alle gleich sind.
In der Ideengeschichte hat der Intellektuelle eine seltsame Figur gegeben; verhalf ihm die Vagheit des Begriffes zu manchem Privileg, fand er sich durch die jeweils abgeleiteten Berufe oft in Abhängigkeiten, deren sich andere Mitglieder der Gesellschaft bei geringerem Prestige doch geschämt hätten. Der erste einer Zunft, die noch ohne den Namen auskam, mochte mit Königen korrespondieren; um das Schimpfwort in die ehrenvolle Berufsbezeichnung zu verwandeln, mußte die Klage nur mehr an den Präsidenten einer Republik adressiert werden; doch es wäre ungerecht, allein den Wirtschaftsminister unserer Restauration dafür verantwortlich zu machen, daß die Nachfolger von Voltaire und Zola auf den Hund kamen. Wenn es schon nicht das Kriechen vor den politischen Begriffen war, das den Intellektuellen erniedrigte, so spätestens sein langer Marsch durch die Institutionen, deren politische Verbindlichkeiten er wohl in einer hinübergeretteten Terminologie, nicht in der Praxis deckte.
Die Praxis des Intellektuellen ist - so trivial wie fundamental - das Denken; doch muß man sogleich hinzufügen: ein Denken, das ebenso seine Bedingungen wie all das reflektiert, was diesen Bedingungen nicht genügt - nichts anderes meint Kritik. Eine Gesellschaft, die nicht mehr in der Sprache das vorzügliche Ausdrucksmittel ihrer Selbstbestimmung und ihrer immer wieder erneuerten Verfassung anerkennt und so – mochte sie diese Funktion auch unter mancherlei Verbrämungen delegieren – inzwischen unverhohlen aufgehört hat, selbstkritisch zu sein, entbindet den Intellektuellen von der Rolle des Statthalters.
Das Übergreifende, mehr oder weniger diskrete Einvernehmen, das den Einzelnen zum Besonderen repräsentativ auswies und noch dessen extravaganteste Manifestationen im Schein eines gemeinsames Ideals nach und nach in ein erweitertes Selbstbewußtsein einbezog, ist gekündigt: Sprache, in der dieses Verhältnis zwischen dem wesentlich Konventionellen und einem potentiell Inkommensurablen ohnehin angelegt ist, wird nicht mehr in solcher Form geduldet, die zur Reflexion des Ganzen auf sein Mögliches taugte. Wo die institutionalisierten Medien eine vermeintliche Unübersichtlichkeit zum Vorwand für die Entfaltung ihrer totalitären Macht nehmen, wird dem Einzelnen bei jedem Versuch einer unverstellten Vermittlung das Wort abgeschnitten, ehe es den vorgezeichneten Umlauf stören könnte.
Doch man sollte auch zugeben, daß jenes Einvernehmen das einer bürgerlichen Gesellschaft war, die nicht mehr ist, und daß die Konsequenz nicht in eine billig verklärte oder durch alte Pfründe komfortabel verblendete Isolation verleiten muß; wenn die Mehrheit längst zurückgefallen ist, verliert sogar der Reaktionär den Anstrich des Interessanten.
Es bleibt dem Intellektuellen, da die Berufsbezeichnung irrelevant geworden ist, die Sprache als Metier, zu dem er sich erneut bekennen muß; im wiedergewonnenen Begriff der Profession dürfte er sich allerdings nicht damit begnügen, das Wort zur gelegentlichen Stellungnahme zu führen: Jegliche Autorität kommt ihm heute nicht mehr durch Einladung zu einer Gesprächsrunde zu, deren Moderator an ihm nur nochmals den Vertragsbruch exekutierte, auch nicht durch Gewährung eines Aufenthaltsstipendiums, das er mit dem Vortrag des schönsten Ferienerlebnisses abzugelten hätte; sie ist wiederzuerlangen einzig durch eine Praxis, welche das Denken nicht von seinem elementaren Ausdruck trennt und an diesem jedes Mittel heiligt.
Die Forderung, aus dem Denken in der Sprache eine Kunst des Schreibens zu machen, war eine Selbstverständlichkeit, solange die Gesellschaft sich im selben Element entwerfen wollte; nunmehr bedeutet sie eine Revolution.