Rezension

Andreas van Dühren

Zugegeben, man war zunächst skeptisch, als man von diesem Projekt einer Wiederaneignung früherer Werke hörte; es drängte sich der Verdacht einer bloß leichthändigen Wiederholung, sogar einer zynisch-hybriden Ausschlachtung auf, mit der etwa die Gefahren des Alters triumphal überspielt werden sollten. Das Gerücht – auch der damit einhergehende, immer etwas spießige Dünkel gegen Malerfürsten – verflog sofort, als man die ersten Abbildungen sah: die Unbefangenheit, mit der hier ein Künstler seine eigene Geschichte zu durchbrechen und daraus wie aus jeglichem Bestand der Kunstgeschichte das Fertige zum Vorwand erneuter Anschauung zu nehmen schien, übertrug sich auf den Betrachter wie eine Anstiftung zur gemeinsamen Souveränität.
(Nicht ganz auszuräumen ist die Frage, ob ›Remix‹ das richtige Losungswort sei, handelt es sich gemäß der vorgeschlagenen Terminologie doch kaum um eine neue Abmischung vorhandener Einspielungen, vielmehr um Neuinterpretationen eigener Kompositionen, liegt der Akzent also weniger auf dem Arrangement als auf der Ausführung; man könnte diese kokette Reverenz an den zeitgenössischen Sprachgebrauch bedauern, muß sich aber nicht lange damit aufhalten.)
Die Ausstellung im Kunstverein Braunschweig repräsentiert nur zum geringeren Teil jenes Projekt; nebenbei aber leuchtet dem Besucher umso besser ein, was im Atelier auf dem Spiel gestanden haben mag. Statt einer gewaltsamen Ermächtigung über das Vergangene begegnet man einer ungezwungenen Virtuosität, einer großzügigen wie genauen Geste im Zugriff auf Sujets, die bereits in ein allgemeines Gedächtnis überführt sind. Nicht nur manche Aussparung auf der Leinwand, auch daß der Auftrag seine Entschiedenheit nicht so sehr einem gesättigten Umfeld, von dem er sich erst abheben müßte, als einem innerlich vorgezeichneten Raum verdankt, sowie eine gewisse, seltsam trockene Helligkeit des Tons schaffen den Eindruck des Gelösten, einer gelassenen, gleichwohl geschichtsbewußten Aufklärung über das Metier selbst.
(In diesem Sinne darf man allerdings von ›Neumischung‹ sprechen: der Maler betreibt hier die Revision seines Werkes in Anwendung des spezifischen Mittels, der Farbe und deren veränderter Zusammensetzung – eine Wiederherstellung des Themas weniger aus dem Gegenständlichen als aus dem Stofflichen.)
Mit Blick auf die Anordnung schmunzelt man fast über eine derart abgezirkelte Konzeption, welche jedes Exponat – tritt man nur kurz beiseite oder zurück – sowohl auf ein zweites als auch auf einen prominenten Ausschnitt der Architektur, wenn nicht auf die natürliche Umgebung des Hauses bezieht. Man meint, noch der jeweilige Lichteinfall betone die vorherrschende Farbe eines Gemäldes, die gleichsam hervorspringende Geometrie dieses Erkers, jener Nische den Umriß einer plastischen Arbeit, und eine figürliche Tendenz setze sich in einer Spur des Parketts fort; der Seitenblick auf Rosetten und Palmetten wie auf Baumkronen und Laub läßt einen an Urformen denken, die eine so heiter durchtriebene Kunst in ihren elementaren Details unversehens reflektiert.
Daß dieses auf Modernisierung des eigenen Fundus zugespitzte Spätwerk, als sei es in seine natürliche Umgebung eingebettet, sich wie selbstverständlich in den klassizistischen Bau einfügt, mag man kuratorischem Geschick zuschreiben; es erweist im höchst Elaborierten eine zuletzt unpersönliche Vitalität. Und daß wir es hier mit Baselitz zu tun haben, der sich den Raucher im Frühling nochmals aneignet, ist lediglich ein Beispiel für die prinzipielle Auffassung, jedes einmal Geschaffene finde sich irgendwann in einem umfassenden Zusammenhang der Gegebenheiten wieder, in den man nur vorübergehend mit dem Anspruch auf individuelle Autorschaft eingreifen könne.
Mag sein, daß man in diesem neuen Ansatz bald eine ebenso bedeutsame Wende erkennen wird, wie sie die Umkehrung des Motivs vor einem Vierteljahrhundert markierte. War es damals die Unabhängigkeit des Themas von einer konventionellen Signifikanz, ist es heute die ausgewiesene Imitation, die den Künstler von den Fiktionen des Inhaltlichen löst: im expliziten Rückbezug auf seine Quellen stellt ein Altmeister das Problem der Originalität, als nehme er es bloß wörtlich. Die Moderne kennt manchen Fall, in welchem die Nachahmung eine Dekadenz, das Wiederaufgreifen auch ein Renegatentum anzeigte; dagegen gilt hier das Versprechen eines Aufbruches – zu einem Unbekannten, in den man sich selbst im offenen Bekenntnis verwandelt.
Der Beigeschmack des Eigensinnigen, der mit jener früheren Volte für viele Beobachter verbunden gewesen sein dürfte, kommt diesmal nicht auf, da man sich einer derart riskanten Option auf unbegrenzte Vielfalt nicht nur künstlerischer Existenz vorbehaltlos anvertrauen möchte; daß man einen recht anspruchsvollen Begriff von Freiheit gewonnen haben muß, um diese nicht unbedingt im Neuland zu suchen, ist immerhin eine schöne Lektion.