Fälschung und Falschgeld in To Live and Die in L.A.

Sulgi Lie

F for Fake, F for Film, F for Friedkin: Daß Film die Kunst der Fälschung par excellence ist, offenbart sich bei einem Genreregisseur wie William Friedkin nicht minder als bei Orson Welles, der bekanntlich seinen letzten Film F for Fake titulierte. Ein Diktum, das vielleicht gegen Godards berühmte Formel vom Film als »Wahrheit 24 mal in der Sekunde« gewendet werden kann, in der noch André Bazins theologische Aufladung des filmischen Bildes als vera icon nachklingt.
William Friedkin hat sich aber spätestens mit seinem zweiten grossen Hollywoodfilm klar auf die Seite des Teufels geschlagen: Denn daß in The Exorcist (1973) der Teufel den Leib des unschuldigen Mädchens Regan derart monströs besetzt hält, ist vor allem einer selbst schon diabolischen Soundästhetik geschuldet, die den besessenen Körper mit einer grotesk deformierten, elektronisch modulierten Stimme sprechen läßt. Die Stimme des Teufels entspringt direkt der Fälschung der Synchronisation: Indem der Film das scheinbar natürliche Band zwischen Körper und Stimme, zwischen Bild und Ton radikal aufkündigt, hat er sich nicht nur für den postklassischen Horrorfilm als stilbildend erwiesen, sondern artikuliert die Fiktion des audiovisuellen Realitätseindrucks selbst als Effekt einer Fälschung.
Eine Fälschung indes, die kein Original mehr kennt: Der Teufel spricht vielförmig und vielzüngig aus Regan – nicht nur in verschiedenen Sprachen und verschiedenen Personen, sondern manchmal gar in rückwärts laufendem Englisch, das nur als Aufzeichnung im Tonlabor wieder korrekt invertiert werden kann: rewind speech – der Teufel ist in The Exorcist nichts anderes als ein Aufschreibesystem, das die Ordnung von Körpern und Sprachen poetisch und technologisch denaturiert und nonlineare und achronologische Paradoxien ins Spiel bringt. Deshalb sind Spezialeffekte für eine solche polymorphe Ästhetik der Fälschung und Fabrikation konstitutiv.
Wenn Regans Kopf sich in zwei berüchtigten Szenen des Films zu 180 Grad rückwärts verdreht oder sie in umgekehrter Rückenstellung auf allen Vieren rückwärts die Treppe runterläuft, geht es eben nicht um geschmacklose Effekthascherei, sondern um die plastische Verkörperung jener »Mächte des Falschen«, die Gilles Deleuze in nietzscheanischer Manier dem Kino von Orson Welles attestiert hat. Als einen weiteren filmischen Beitrag über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne ließe sich auch To Live and Die in L.A. (1985) charakterisieren, den Friedkin während einer Periode des amerikanischen Kinos gedreht hat, die gemeinhin eher abschätzig beurteilt wird – gilt das Hollywood der 1980er Jahre in cinephilen und filmwissenschaftlichen Historiographien doch häufig als eine Ära des politischen und ästhetischen Niedergangs, der den ideologischen Konservatismus der Reagan-Administration mit dem Kommerzialismus kommodifizierter Bildoberflächen konvergieren läßt. Gerade aber weil sich To Live and Die in L.A. zu dieser glattpolierten Warenästhetik der 80er Jahre eben nicht kritisch, sondern absolut immanent verhält, läßt sich aus dem Film eine strukturale Analyse der spätkapitalistischen Totalität extrapolieren, die sich zentral aus der allegorischen Figuration des Falschgeldes speist.
Im Gewand eines Agenten-Thrillers gelingt es dem Film auf eine ingeniöse, dialektische Weise, das (Un)Wesen des Falschgeldes sowohl als Wahrheit als auch als Lüge des (Geld)Kapitals zu fassen: Falschgeld ist wahres Geld, nicht nur weil es für wahr gehalten wird, sondern auch, weil Falschgeld im Tausch ohne die Vermittlung einer Ware direkt in (mehr) Geld konvertiert wird: G-G', wie es die Marx'sche Formel auf den Punkt bringt. Falschgeld bleibt aber falsches Geld, nicht nur weil die Fälschung trotz aller Perfektion enttarnt werden kann, sondern auch weil der Geldwert weder politisch (durch den Staat) noch ökonomisch (durch Arbeit) gedeckt ist. Deshalb hat Falschgeld als fingiertes, ja fiktionales Geld eine intrinsische Affinität zum Finanzkapital – Geld, das sich gegen Geld austauscht, ist eben nichts anderes als G-G' ohne den Umweg von G-W-G': »Der Wert wird also prozessierender Wert, prozessierendes Geld und als solches Kapital. Er kommt aus der Zirkulation her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrößert aus ihr zurück und beginnt den selben Kreislauf stets wieder von neuem. G-G', geldheckendes Geld.«1
Als geldheckendes Geld gebiert sich das Falschgeld gleichsam von selbst – eine Art unbefleckte Empfängnis, die sich gerade in ihrer Fälschung als Reinform des Kapitals repräsentiert. Die Wahrheit des Falschgeldes ist seine Falschheit, die Falschheit des Falschgeldes seine Wahrheit.
Im Falschgeld erstrahlt der Fetischcharakter der Ware auf besonders trügerische Art und Weise: Die Nachahmung des Geldes setzt sich an die Stelle des Geldes selbst, die Kopie setzt sich parasitär an die Stelle des Originals, das Bild ersetzt das Ding. F for Fake, F for Fetish: Nun ist der (Geld)Fetisch für Marx eben keine subjektive Täuschung, sondern die objektive Illusion eines «sinnlich übersinnlichen Dinges»2, dessen Schein nicht nur notwendig falsches und notwendig richtiges Bewußtsein ineinander kollabieren läßt. Im Falschgeld offenbart sich der Trugbildcharakter des fetischistischen Scheins als materiell verdinglichtes Trugbild. Die ohnehin «gespenstische Gegenständlichkeit»3 des (Geld)Fetisch ist im Falschgeld nochmals potenziert, so daß man vom Falschgeld gar als dem Trugbild eines Trugbildes sprechen könnte.
In seiner minuziösen Lektüre von Baudelaires La Fausse Monnaie (aus Le Spleen de Paris) verweist auch Jacques Derrida auf den doppelten Trugbildcharakter des Falschgeldes, das als Ding zugleich undinglich ist. Das Falschgeld, so Derrida, ist »keine Sache wie jede andere; sie ist etwas als ein Zeichen und selbst ein falsches Zeichen, dessen Signifikat letztlich [...] nichts zu entsprechen oder gleichwertig zu sein scheint, ein fiktives Zeichen ohne gesicherte Bedeutung, ein Simulacrum, das Double eines Zeichens oder eines Signifikanten.«4
Um diese durch Falschgeld bewirkte Entsicherung der Bedeutung geht es zentral auch in To Live and Die in L.A., in der die paradoxe Logik des Simulacrums nicht nur die ökonomische, sondern ebenso die politisch-staatliche und psychosexuelle Struktur des Spätkapitalismus kontaminiert hat. Der Film zeigt uns das Los Angeles der 80er Jahre als eine Welt, in der alle gesellschaftlichen Verhältnisse durch Geld und Falschgeld vermittelt sind. Materialistisch ist der Film in dem präzisen Sinne, daß die Totalität der monetären Tauschbeziehungen ohne jede Moralisierung in ihrer abstrakten Funktionalität vorgeführt wird. Ob Gangster oder Polizisten – niemand bleibt von der systemimmanenten Korruption und Perversität des (Falsch)Geldes unberührt.
In diesem Universum des geldheckenden Geldes, des selbstverwertenden Wertes und simulierter Simulacra ist jegliche Transzendenz von der »metaphysische[n] Spitzfindigkeit und theologische[n] Mucke«5 der Geldware ersetzt worden, die als Falschgeld aus wertlosem Papier Wert generiert; aus fiktiven Zeichen realen Profit macht. Falschgeld ist spekulatives Geld, und ähnlich Baudelaires Text ist To Live and Die in L.A. eine Spekulation der Spekulation »auf/über das, was dem Kapital in einer Kapitale im Zeitalter des Geldes geschehen kann: Der Umlauf des falschen Geldstücks kann, selbst bei einem kleinen Spekulanten die realen Zinsen eines echten Kapitals erzeugen. Ist so, indem es Zinsen ohne Arbeit erzeugt, indem es, wie man sagt, von alleine arbeitet, die Wahrheit des Kapitals nicht fortan das Falschgeld? Gibt es hier eine wirkliche Differenz zwischen echtem und falschem Geld, sobald es Kapital gibt? Und Kredit?«6
Derridas Fragen berühren die Problematik einer prekär gewordenen Deckung des Geldes im Kapitalismus, das weder vom Staat, von Gold und auch nicht von Gott gedeckt wird. »Do you believe that the stars are the eyes of God?« wird Ruth, die Informantin und Liebhaberin des Secret Service-Agenten und Falschgeldjägers Richard Chance mit zweimaliger Rätselhaftigkeit fragen – und Chance wird jedes Mal diese Frage ohne jeden Zweifel verneinen. In der vollends durch das Geld profanierten Welt von Live and Die ... gibt es keinen Gott, womöglich aber einen Teufel – sein Name ist Eric Masters, Geldfälscher und Antagonist von Chance.
Obwohl To Live and Die in L.A. auf den ersten Blick mit dem diabolischen Diskurs von The Exorcist nichts zu tun hat, verleiht auch dieser Film der Figur des Fälschers eine geradezu mephistophelische Dimension: denn Masters ist nicht nur der Meister über Leben und Tod seiner Gegner, sondern über Leben und Tod des Falschgeldes: Der entrepreneur, der das Falschgeld in Eigenregie produziert, vernichtet dieses immer auch in sinnlos erscheinenden Akten der Verschwendung. Wiederholt sieht man Masters im Film beim Verbrennen von Falschgeld und anderen (Wert)Gegenständen. Verwertung und Entwertung, Produktion und Zerstörung bilden bei Masters einen merkwürdigen Kreislauf, als ob der gefälschte Wert notwendiger Weise wieder auf die totale Nullstufe zurückkehren müßte.
Mit dem verstörendem Akt einer suizidalen Verschwendung beginnt auch die Pre-Title-Sequenz des Films: Zu dem Titelsong der britischen Popband Wang Chung, die bezeichnenderweise in einer Zeile »I feel that God is not in heaven« singt, sieht man eine in maximaler staatlicher Hochsicherung aufgerüstete Autokarawane in ein Kongresshotel fahren. Dort hält Ronald Reagan höchstpersönlich eine Rede, deren Worte man durch die Ohrhörer von Richard Chance' Geheimdienstpartner Jimmy Hart hört: »I believe that in both spirit and substance our tax system has become Un-American. Death and taxes maybe inevitable, but unjust taxes are not. The first American revolution was sparked by a conviction – taxation without representation is tyranny.«
Mittels dieser Rede situiert sich der Film nicht nur in einem konkreten zeithistorischen Moment, sondern lenkt unmittelbar den Fokus auf das bis heute unerschütterliche Dogma des Neoliberalismus, das Steuererhöhungen nicht nur als Verbrechen, sondern von Reagan gar in McCarthy'scher Manier als antiamerikanischen Verrat an der ganzen Nationalgeschichte deklariert. Indem Reagan die Losungen »Death and taxes« and »Taxation without representation is tyranny«, die aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Kolonialmacht stammen, ideologisch umcodiert, erklärt sich die neoliberale und neokonservative Konterrevolution der 80er Jahre selbst als ein revolutionäres Projekt. Auf rabiate Weise werden Steuererhöhungen mit dem Tod gleichgesetzt, dem Tod des amerikanischen Kapitals. Damit das Kapital wieder vital florieren kann, müssen die Steuern gesenkt werden.
Auf den tödlichen Antiamerikanismus der Steuer folgt in der assoziativen Verdichtung der Sequenz prompt der tödliche Antiamerikanismus des islamischen Terroristen, als ob ein interner Antagonismus externalisiert werden müßte. Chance spürt auf dem Hoteldach einen mit Dynamit gerüsteten Selbstmordattentäter auf, der in manischen Parolen Israel und Amerika und allen Feinden des Islams den Tod wünscht. Nur weil Jimmy Hart im letzten Moment den Attentäter vom Dach zieht, überlebt Chance die Explosion. Wie Michael J. Shapiro in seiner anregenden Interpretation des Films anmerkt, spiegeln sich paradoxerweise die Worte Reagans und des Attentäters in der Affirmation des Exzesses: »Here, a comparison of saving and hoarding life to protect value versus achieving value by expending life passionately is presented as analogous to saving and hoarding versus spending money.«7
Wenn (kreative) Destruktion für die Wertbildung konstitutiv geworden ist, dann ist der Neoliberalismus dem Terrorismus näher, als ihm lieb sein kann. Ein solcher Terrorist des Kapitals ist nämlich auch Masters. Ein (selbst)zerstörerischer (Todes)Trieb verbindet über das Feuer der Explosion den arabischen Terroristen mit dem Geldfälscher. Nicht zufällig wird auch Masters als Personifizierung einer nihilistischen Negation in den Film eingeführt: In seiner Designervilla rollt er ein selbstgemaltes Gemälde auf dem Boden auf, um es anschließend in einer abrupten Reaktion draußen an die Wand zu heften und zu verbrennen: F for Fire, Masters ist Ikonophil und Ikonoklast zugleich. Diese rituelle Bildzerstörung steht als symbolischer Akt für das extrem ambivalente Verhältnis zwischen Bild und Geld, die sich gegenseitig hervorbringen, nur um sich wieder gegenseitig zu vernichten.
Masters erster Auftritt steht syntaktisch am Ende einer ausgedehnten Titelsequenz, deren komplexe Montagelogik deutlich suggeriert, daß der Reichtum von Masters auf der Falschgeldzirkulation in den sowohl proletarischen und ethnisch gemischten Bezirken von L.A. basiert. Es beginnt mit einer Montage in Rot: die Großaufnahme einer Pistole im Rotlicht; als der Schuß fällt und das Mündungsfeuer aus dem Lauf tritt, friert das Bild für einen kurzen Moment ein und entfärbt sich zugleich ins Schwarzweiß. Darauf folgt eine Totale des rötlichen Sonnenaufgangs über L.A. und eine Detailaufnahme der Augen eines gemalten Portraits, das sich durch einen merkwürdigen (elektronischen) Färbungseffekt von Lila in Rot wandelt.
Damit wird eine dichte semantische Verknüpfung von Tod, Stadt und Bild in Gang gesetzt, die das Pattern der vorherigen Pre-Title-Sequenz fortführt. Nach einer Abfolge von Einstellungen, die Güterzüge, ausrangierte Autokarossen und industrielle Produktionsstätten bei Tagesanbruch zeigen, setzt mit dem treibenden Pop-Sound eine serielle Montage von anonymen Geldtransaktionen ein – 20-Dollar Scheine, die auf den Straßen von L.A. in ethnisch gemischten Begegnungen schnell gegen andere Scheine ausgetauscht werden. Das Falschgeld zirkuliert im beschleunigten Montage-Rhythmus eines Videoclips, während die Titel in plakativer Typographie und knalligen Rot- bzw. Grüntönen eingeblendet werden.
Danach folgt eine andere Bilderserie von investigativ beschrifteten, schwarzweißen Überwachungsphotos von tatverdächtigen Falschgeldhändlern. Falschgeld und Gesetz werden damit von Beginn in ein System der konstanten Zirkulation eingebunden, das die Trennung zwischen Illegalität und Legalität in der Form der Montage unscharf werden läßt. Der tänzerische Flow von Geldern und Bildern wird aber immer wieder von diegetisch disjunktiven Einstellungen punktiert, die zu einem anderen Zeitpunkt des Films wieder auftauchen und so um- und decodiert werden: das geschminkte Gesicht einer Frau (die später als Masters' Freundin Bianca eingeführt wird), die frontal in die Kamera schaut und in einer graphischen Manipulation direkt aus der rot-grünen Schrift des Filmtitels erscheint; ein weiteres Gemälde mit hervorgehobenen Augen, eine andere Frau, die rauchend im Bett liegt (später als Chance' Freundin Ruth eingeführt).
Bereits an diesen flash-forward-artigen Einschüben wird deutlich, daß der Film nicht im linearen Modus narrativer Kausalität verfährt, sondern in Loops von Fast Forward und Rewind. So nimmt auch Masters Bildverbrennung seinen eigenen Verbrennungstod am Ende des Films bereits vorweg – ein narrativer Kurzschlußeffekt, der den Urheber der wertbildenden Zirkulation zugleich als radikalen Wertvernichter antizipiert. Im selben Moment, da Masters zum ersten Mal zu sehen ist, enden auch die Credits mit der Einblendung von William Friedkins Namen. F for Fake, F for Fiction, F for Friedkin: eine Autoallegorie des Regisseurs als Fälscher.
Friedkin ist wie Masters ein Meister der Trugbilder – er fingiert Bilder ohne Deckung, so wie Masters Geld ohne Deckung fingiert: »Ferner, die Erzählung ist eine Fiktion, und zwar eine Fiktion des Fingierens, eine Fiktion aufgrund eines Fingierens, sogar die Fiktion eines Fingierens.«8 Friedkin ist der Enunziator, aber ein trügerischer: F for Fraud: »Zusammenfassend könnte man sagen, daß der Fälscher zur Personalisierung des Films schlechthin wird.«9
In diesem Spiegelkabinett der Täuschungen und Fälschungen zersplittert jede visuelle Authentizität in eine Vielzahl sekundärer Bild-Derivate: Wenn im Anschluß an Masters' Autodafé Chance zunächst beim Bungee Jumping und danach beim Biertrinken mit seinen Kollegen gezeigt wird, switcht der Film von einem Sportclip zu einer Bierwerbung, von einer Oberfläche zur nächsten, obwohl es um die Vergewisserung originaler Männlichkeit und symbolischer Vaterschaft geht: Chance' Kollege und Vaterfigur Jimmy Hart, der wenige Tage vor seinem Ruhestand steht, wird von Chance als Meister im Aufspüren von »bad paper« gerühmt. Mit rituellen Male Bonding-Gesten und hypermaskulinen Posen zitiert der Film das in den 80er Jahren populäre Format des Buddy Movie, dem eine gehärtete Männlichkeit als Beweis eines gesunden amerikanischen Nationalkörpers gilt. In diesem Sinne müssen natürlich auch die Dollarscheine unbefleckt von jedem Simulakrenverdacht sein: »Good money and unalloyed maleness turn out to be equivalent.«10
Aber der gute Vater ist alt und schwach geworden (»I'm getting too old for this shit«, wie Jimmy Hart schon in der Pre-Title-Sequenz zu Chance sagt) und muß einem neuen maskulinen System Platz machen, das Kontaminationen, Perversionen und Transgressionen aller Art wuchern läßt. Im Anschluß an Juliet Flower MacCannell könnte man sagen, daß die Genealogie des Vaters von einem »Regime des Bruders«11 abgelöst wird, in dem die Autorität vom paternalen Gesetz abgekoppelt und gewissermassen ungedeckt freigesetzt wird. Ein solch post-patriarchaler Meister ist Masters, dessen Autorität auf reiner Fälschung basiert. Im Regime des Bruders lösen sich somit die Grenzlinien zwischen Gesetz und Verbrechen, Original und Fälschung immer mehr auf: Im Laufe des Filmes wird Chance in seiner obsessiven Jagd auf Masters seinem Antagonisten immer ähnlicher und ist dafür bereit, als staatlicher Agent das Gesetz kriminell zu überschreiten. In Masters sieht Chance die Gelegenheit, selbst zu einem Meister zu werden. Und es ist nichts anderes als das Falschgeld, das diese perversen Zirkulationen in Gang setzt.
In der faszinierendsten Sequenz des Films wird der Meister der Fälschung bei der Arbeit gezeigt. Der Geldfälscher ist als Unternehmer zugleich ein Künstler, wenngleich ein Kunstfälscher, so doch ein begnadeter Kunsthandwerker. Im Prozeß der Falschgeldherstellung werden die Differenzen zwischen Geld und Bild vollends aufgelöst: Das Geld wird zum Bild, das Bild wird zum Geld. Ökonomische und ästhetische Produktion sind ununterscheidbar geworden. Im Rotlicht eines Photolabors kopiert Masters echte 20-Dollarscheine auf eine Negativfolie, übermalt sorgfältig mit einem schwarzen Pinsel die Seriennummern, um anschließend die Folie erneut auf eine Metallplatte zu kopieren.
Durch Atemhauch werden auf dieser Kopie einer Kopie die Konturen der Dollarscheine sichtbar. Mit dem Auftropfen und Verschmieren roter Farbe auf der Metallplatte – abstraktes Drip Painting und Bluttropfen zugleich – setzt auf dem Soundtrack ein treibender Pop-Beat ein, der in Folge im Rhythmus der Druckerpresse pulsiert. Masters vermischt mehrere Farben zu einer grünen Paste, um die gefälschten Seriennummern damit zu bedrucken. Die Farbe des Geldes ist perfekte Pop Art, Masters ist eine Mischung aus Jackson Pollock und Andy Warhol, der, wie auch Sharon Willis festhält, im harmonischen Zusammenspiel von manueller und mechanischer (Re)Produktion das totale Simulakrum fingiert.
»For the artist here is a counterfeiter; we watch, with the fascinated camera, as the process of mechanical reproduction of twenty dollar bills unfolds. This is a long sequence which presents the hand of the artist in immense detail, as it produces a plate and prints and colors the bills, with particularly captivating close-ups of the mixing of luxurious gobs of paint – red, black, green, and white together. Here the postmodern in-joking of the film's discourse operates on several levels: Masters is an enfant terrible Neo-Expressionist whose artistic talent translates directly into cash. Of course, the cash is fake, just as he is. This sequence also plays on a fascination with surface detail, and upon the infinite extension of serial reproduction.«12
Beim Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist der Kultwert mit dem Ausstellungswert identisch geworden – die Reproduktion zielt direkt auf die massenhafte Proliferation und Zirkulation auf dem Markt, sei es auf dem Kunstmarkt oder auf dem Schwarzmarkt. Masters ist der Meister der kapitalisierten Mimesis, weil er die Hierarchie zwischen Original und Kopie invertiert – seine Originalkopie ist in Design und Stil nicht zu übertreffen, weil die Hand des Meisters selbst als branding dafür einsteht. Style ist alles, Substanz ist nichts: To Live and Die in L.A. führt diesen Vorwurf, der gegen das Hollywoodkino der 1980er Jahre so oft gerichtet wurde, ad absurdum, weil der verführerische Oberflächenglanz der Warenwelt selbst zum Substrat der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion geworden ist. Der falsche Schein ist im doppelten Sinne wahr geworden: Der (Geld)Schein ist der schön(st)e Schein.
Wie schon in der Titel-Typographie sind Rot und Grün die zentralen Farbsignale: Die Farben des Geldes scheinen in Rot und Grün. Die diskursive Schrift der Enunziation schreibt sich direkt in die Diegese ein – so sind auch in einer späteren Szene in einer Strip-Bar Chance und Ruth in rotes und grünes Licht getaucht. Masters, der große Enunziator innerhalb der Fiktion spiegelt sich mit Friedkin, dem großen Enunziator außerhalb der Fiktion. Wiederum ein Selbstportrait des Regisseurs als Bild-, Kunst- und Geldfälscher: Im kommodizifierten Hollywoodkino der 80er Jahre verkauft auch der Autor seine stilistische Signatur als eine Marke.
Wenn der Marktwert des Produkts sinkt, droht jeder Ware – ob nun Film, Kunst oder Geld – der Verfall in den Abfall: Deshalb ist es nur konsequent, daß Masters sein aufwendig fabriziertes Falschgeld nach der Fertigung ausgerechnet in einem Müllcontainer deponiert. Das Falschgeld ist als Simulacrum wertvoll, aber als Original bloß wertloses Papier, das – wie in der finalen Konfrontation zwischen Masters und Chance' Partner John Vukovich – von der Schreddermaschine in Müll verwandelt wird.
Und daß Masters das Falschgeld zudem noch in der Wüste außerhalb von L.A. herstellt, ist die finale Ironie einer Ökonomie des Trugbildes, die gleichsam in der Leere der Wüste geldheckendes Geld generiert, während die traditionell industriellen Cityscapes in der Titel-Sequenz deutlich vom Verfall gezeichnet sind. Im Falschgeld realisiert sich eine Tendenz zur Abstraktion, die Jean-Joseph Goux zufolge dem kapitalistischen Prozeß der Realabstraktion strukturell und historisch immanent ist: »So ist die Geschichte der Monetarfunktion grundlegend gekennzeichnet durch die Entwicklung auf Abstraktion und Konvention hin. An die Stelle des Produkts mit einem materiellen Wert treten nach und nach immer abstraktere Geldzeichen. In der Geldentwicklung findet ein Übergang statt vom Substrat zum Fetisch, vom Fetisch zum Symbol und vom Symbol zum bloßen Zeichen; eine Bewegung der Idealisierung, ein Übergang vom Substrat zum Verhältnis. Diese allgemeine Bewegung ist exemplarisch. Vom materialisierten Wert wird das Geld zum Goldzeichen. Und von da zum bloßen Wertzeichen. Zeichen oder Repräsentant einer hypostasierten Abstraktion.«13
In To Live and Die in L.A. sind jedoch nicht nur die monetären Verhältnisse von der Abstraktion gezeichnet, auch die Geschlechterverhältnisse werden von einer Entsubstanzialisierung erfaßt, die sich symptomatisch sowohl in der hyperbolischen Heterosexualität von Chance als auch in der performativen Bi- oder Homosexualität von Masters zeigt. Ihre Objektwahl wird weniger von amourösen Affekten als vielmehr von ökonomischem Kalkül gesteuert: Chance hält sich in Ruth nicht nur eine Informantin, die er jederzeit wieder ins Gefängnis zu schicken droht, sondern auch eine Sexualpartnerin, über die er mit totaler Verfügungsgewalt agiert.
Wenn er sich in einer Szene des Films mit affektloser Coolness entkleidet, um mit Ruth zu schlafen, kippt jedoch die prononcierte Maskulinität durch Friedkins visuelle Strategie fast in ihr Gegenteil: Das Bild des nackten Chance, der mit deutlich sichtbarem Geschlechtsteil vor den Jalousien des Fensters steht, ruft mit den Silhouetten der Jalousie nicht nur ein zentrales Designaccessoire der 80er Jahre auf, sondern evoziert auch deutlich die homosexuelle Ikonografie des männlichen Pin-ups. Diese hier noch unterschwellige Homoerotik von Chance wird in der Konfrontation mit Masters immer evidenter: »You're beautiful« sagt Masters in einer späteren Szene zu Chance und meint dabei sowohl das Geld als auch ihn. Chance erwidert diese Liebeserklärung bei der nächsten Transaktion, als er von Masters schließlich das Falschgeld erhält: »You're beautiful.«
Schönheit haftet nicht länger dem ökonomische oder sexuelle Substrat an, sondern am bloßen Zeichen eines verführerischen Trugbildes. Daß sich auch Sexualität wie das Falschgeld fälschen, fingieren und fiktionalisieren läßt, verdichtet sich insbesondere in einer Sequenz, in der Friedkin die filmische Macht des Falschen offen ausstellt: Masters beobachtet seine Freundin Bianca bei einer Tanzshow, bei der die Geschlechtsidentität der Tänzer und Tänzerinnen durch ein maskenhaftes Make-up verschleiert werden. Als die Kamera in Rückenansicht einem der Tänzer in die Umkleidekabine folgt, ist dieser von hinten deutlich als ein Mann zu erkennen. Im Moment des Kusses zwischen Masters und ihm, wird jedoch während des Umschnitts auf die andere Achse der Mann durch Bianca ersetzt.
Ein kurioser Fälschungseffekt; ein falscher Anschluß, der sich als solcher gar nicht erst kaschiert: Der Film betreibt Montage als Falschmünzerei, in der die beiden Seiten der Medaille sich gegenseitig ausschließen. Dieser unmögliche Switch zwischen Homo- und Heterosexualität wird in der Folge noch verkompliziert, wenn Masters und Biancas sexuelles Spiel im offenen Exhibitionismus durch (Spiegel-) Blicke für Biancas lesbische Tanzpartnerin Serena inszeniert wird. In dieser performativen Konstellation werden die Differenzen zwischen Hetero-, Bi- und (männlicher und weiblicher) Homosexualität nivelliert, um von einer polymorphen Perversion abgelöst zu werden, in der die einzige Substanz der Schein ist: You're beautiful.
Nicht zufällig wird eine weitere Sexszene zwischen Masters und Bianca durch einen Interface-Effekt gerahmt, der ihre realen Körper durch einen Videomonitor verdoppelt. Da das Videobild denselben japanisch anmutenden Raum zeigt, in dem sich Masters und Bianca gerade befinden (vermutlich in Anspielung an David Cronenbergs Videodrome), erzeugt die Sequenz eine kurze Irritation darüber, ob es sich um eine Aufzeichnung oder einen Live-stream handelt. Sich selbst beim Sex zuschauen: Als ob ihn das Videobild mehr erregen würde als die Berührung durch Bianca selbst, blickt Masters in einem kurzen Moment wie gebannt auf den Bildschirm – Videowelt und fraktales Subjekt: »Ein eigentümlicher Narziß: es sehnt sich nicht mehr nach seinem vollkommenen Idealbild, sondern nach der Formel einer endlosen genetischen Reproduktion.«14
In diese endlose Reproduktionsschleife bewegt sich To Live and Die in L.A. auch durch die narrative Radikalisierung des Undercover-Motivs, das Friedkin schon in seinem früheren Film Cruising zu unauflösbarer Ambivalenz gebracht hat: Dort recherchiert Al Pacino in der Rolle eines Undercover-Polizisten einen Serienmord in der New Yorker Gay Community und kann bald zwischen seiner richtigen heterosexuellen und seiner falschen homosexuellen Identität nicht mehr unterscheiden. In einer perversen Logik der Substitution suggeriert der Film am Ende gar, daß nicht nur die Morde möglicherweise von multiplen Personen begangen worden sind, sondern daß Al Pacino selbst als Mörder in Betracht kommt.
Um an Masters heranzukommen, tarnen sich Chance und sein Partner Vukovich als kriminelle Geschäftsmänner, die Falschgeld zur Geldwäsche kaufen wollen. Masters will 30000 Dollar als Vorschuß, die der Secret Service jedoch verweigert. Als Lösung will Chance einem Tip von Ruth nachgehen, die von der Ankunft eines chinesischen Gangsters weiß, der in L.A. gestohlene Diamanten kaufen will. Die Hüter des Gesetzes begehen nun selbst einen kriminellen Akt, um einen Verbrecher zu fassen: »Steal real money to buy counterfeit money?«, fragt Vukovich zunächst entsetzt, um Chance dann doch nachzugeben. Der vermeintlich sichere Coup eskaliert, da sich der Chinese selbst als FBI-Undercoveragent erweist.15 Eine ganze Armada von FBI-Agenten verstrickt nun Chance und Vukovich in eine spektakuläre Verfolgungsjagd durch die Highways von L.A., bis Chance in einer wahnwitzigen Fahrt durch den Gegenverkehr die Flucht gelingt.
Exzessive Verfolgungsjagden gehören zu Friedkins stilistischem Markenzeichen als Action-Regisseur: In French Connection jagt Gene Hackman im Auto einer U-Bahn hinterher, in Jade zwingt das hügelige San Francisco die Autos zu Luftsprüngen, in The Hunted zwängt sich Benicio del Toro brachial durch einen Stau. In To Live and Die in L.A. aber findet die automobile action im Bild des Geisterfahrers einen ultimativ verschwenderischen Höhepunkt. Die Perversion des Falschgeldverkehrs findet eine entsprechende Bewegungssignatur in der Verdrehung der Verkehrs, die von den pervertierten Gesetzesvertretern ausgelöst wird. Falschgeld und Falschverkehr zirkulieren »wrong way«, wie ein Verkehrsschild auf dem Highway verkündet. Die verkehrte Zirkulation unterbricht gar die Warenzirkulation und Transportwege der materiellen Wirtschaft, wenn die Geisterfahrt den gesamten Verkehr lahmlegt und unzählige Autos in jenen Schrott verwandelt, den die Credit-Sequenz schon vorweggenommen hat.
In den Loops der (Falsch)Zirkulation garantiert die kreative Destruktion die Wiederkehr Desselben. Statt in einer narrativen Schließung endet To Live and Die in L.A. in rigoros strukturalistischer Manier mit einer Endlosschleife der Reproduktionen, Simulationen und Substitutionen, die alle Figuren des Filmes zu fraktalen Klonen fälscht, um mit Baudrillard zu sprechen: Chance wird beim finalen Deal erschossen und von Vukovich ersetzt, der am Ende des Films als Kopie von Chance Ruth für sich beansprucht. Masters wird von Vukovich erschossen und von Bianca ersetzt, die mit ihrer lesbischen Partnerin Serena das Regime der Brüder vermutlich durch ein ebenso perverses Regime der Schwestern ersetzt. Was bleibt, sind Bilder, Falschbilder: Masters, der in seinem Videotape als Trugbild überlebt; Chance, dessen ikonische Pose als nondiegetische Kopie nach den Credits als substanzloses Simulacrum übrigbleibt: You're beautiful.

 

1 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1, Berlin 1970, S. 170.
2 a.a.O., S. 85.
3 a.a.O., S. 52.
4 Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit Geben I, München 1993, S. 124.
5 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1, Berlin 1970, S. 85.
6 Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit Geben I, München 1993, S. 162.
7 Michael J. Shapiro, Cinematic Political Thought. Narrating Race, Nation and Gender, Edinburgh 1999, S. 153.
8 Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit Geben I, München 1993, S. 115.
9 Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt am Main 1991, S. 176.
10 Michael J. Shapiro, Cinematic Political Thought. Narrating Race, Nation and Gender, Edinburgh 1999, S. 156.
11 Vgl. Juliet Flower MacCannell, The Regime of the Brother: After the Patriarchy, London 1991.
12 Sharon Willis, Disputed Territories, Masculinity and Social Space, in: Constance Penley, Sharon Willis (Hrsg.), Male Trouble, Minneapolis/London 1993, S. 269.
13 Jean-Joseph Goux, Freud, Marx. Ökonomie und Symbolik, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1975, S. 101.
14 Jean Baudrillard, Videowelt und fraktales Subjekt, in: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hrsg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 252.
15 Vgl. Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt am Main 1991, S. 178: »Der Fälscher wird folglich mit einer Kette von Fälschern verbunden sein, innerhalb deren er sich verwandelt. Es gibt nicht den einzelnen Fälscher, und wenn der Fälscher etwas aufdeckt, dann ist es die Existenz eines anderen Fälschers, der sich hinter ihm verbirgt […]«